RAINER ZENDRON: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – 5 IndividualistInnen spielen Familie

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – 5 IndividualistInnen spielen Familie

Versuch zur Ausstellung von Helga, Herbert, Felix und Oona Valarie Schager mit Ufuk Serbest im Blauen Salon des Kulturhauses Tacheles in Berlin zum Thema Familie

Die fünf Teile der Familie Schager/Serbest leben als KünstlerInnen und KulturarbeiterInnen. Heterogen vernetzen sich Mehrfachbindungen zwischen den notwendigen wie erwünschten individuellen Identitäten als KünstlerInnenpersönlichkeiten und denen als Teile des Kooperationskollektivs der Familie. Komplexer als bei Künstlerpaaren – wie sie von Klaus Theweleit in seinem „Buch der Könige“ verhandelt werden – verweben sich wechselseitige Abhängigkeits-, Lern- und Lehrverhältnisse mit Emotionen, Liebe und Macht. Die Produktion einer künstlerischen Wirklichkeitsherstellung wie die künstlerische Menschenherstellung fordern stetige performative und reflektierende Auseinandersetzung. Künstlerische wie familiäre Entwicklungen werden mit paralleler Zielrichtung vorangetrieben: Gegen Verdinglichung und Entfremdung in Kunst, Kultur und Leben. Das weite Spektrum des kulturellen Spielfeldes soll im „Hier und Jetzt“ gestaltet werden. Die ProtagonistInnen positionieren sich, indem sie Missstände bearbeiten, versuchen individuelle Glücksvorstellungen mit politischem Verständnis zu kombinieren und Emotion ebenso wie subtile, persönliche Weltsichtsichten in ihre Projekte einfließen lassen.

Obwohl das Betriebssystem Kunst, seit diese aufs „Neue“ verpflichtet ist, die Gesellschaft spiegelnd von Habenwollen, Übertreffenwollen, Loswerdenwollen bestimmt ist, ist sie gleichzeitig – anders als die Ökonomie – nicht bloß auf das Recht des Stärkeren, dem darwinistischen Wettbewerb verpflichtet, bei dem allein übrig bleibt, was sich durchsetzt, sondern die Kunst ist in der gesellschaftlichen Aufgabenteilung gleichermaßen zuständig für die „Verwaltung“ des Neuen (Rainer Metzger). Ihre Artefakte und Prozesse wirken auch als sozialer Streichelzoo zum Heimisch-machen des Fremden/Neuen. Ihre gesellschaftliche Rolle liegt insofern nicht in der identischen Bewegungsform der jenseits von Moral und Konvention agierenden Ökonomie, sondern vielmehr darin, deren Krassheit und Eklatanz vermittelbar zu machen, zu bannen.

Die Penetration des Betriebsystems Kunst mit der Mechanik unseres Gesellschaftssystems durchflutet längst auch unsere Familiensphäre. Die Globalisierung des Kapitals hat neben seiner öffentlich diskutierten, extensiven Erscheinungsform, auch eine inverse Durchdringungstendenz aller Sozialstrukturen zur Folge. Die letzten Inseln unserer bislang noch nicht durchkommerzialisierten Lebensbereiche, werden Zug um Zug infiltriert, und internalisieren Konkurrenz, Neid und Rivalität. Kunst und Intimität leiden existenziell an ihren divergierenden traditionellen und zeitgenössischen Anforderungen.

Der verquerte Spagat zwischen Avantgardesuche und gesellschaftlichem Glättungs- und Vermittlungsauftrag, der sich im situationistischen Spektakelbegriff zusammenknüllt, prägt das aktuelle Kunstgeschehen. Will sich Kunst nicht in Dekoration, Vergnügen oder Lebenshilfe erschöpfen, steht einerseits die Forderung nach dem Sichtbarmachen der sie umgebenden Verhältnisse und der Arbeit an ihrer Veränderung, andererseits gleichzeitig jene nach Verdeutlichung ihrer Ohnmacht, Veränderung zu realisieren. Doch meantimes wurden selbst viele Spielarten von möglichen, daraus folgenden, formalen Verweigerungsstrategien, mit denen Debord seinen Satz: „Wir leben wie verlorene Kinder, unsere Abenteuer bleiben unvollendet …“, ausklingen lässt, zur kritischen Attitüde vernutzt.

Die Diagnose ist klar: Kunst, die sich in Spektakel oder Vermittlung erschöpft, hat aufgehört Kunst zu sein. Verweigert sie sich jedoch diesem Malström, bleibt sie zwar Kunst, verliert jedoch tendenziell ihre öffentliche Präsenz, nicht zuletzt deshalb, weil die Einrichtungen ihrer öffentlichen Präsentation kaum den primären Auftrag darin haben aktuelle Kunst zu zeigen, sondern breite Bedürfnisse unserer Gesellschaft zu befriedigen und die generieren sich aus dem nämlichen Bewegungsgesetzen des Betriebssystem. Solch ein kulturpessimistischer Befund ist in seiner Holzschnittförmigkeit konservativ, weil er nur die großen, dominierenden und lauten Tendenzen sichtbar macht und gegenläufige leisere Strömungen aus dem Blickwinkel streicht: wie das Einlassen auf, das Eingreifen in und das Begleiten von gesellschaftliche Bewegungen, wie die Verweigerung des Spektakels durch Beharren auf subversiv Einhaltgebietendem oder auch auf die Tendenzen zum Klauen und der unvermuteten Neukombination des Gewohnten, Vernutzten mit querer Stoßrichtung.

Nicht-lineare Collage und Remix reflektieren gegenwärtige Medienangebote und reagieren auf wachsende Multikontextualität. Die Kunst-Realität wird bei diesem Ansatz nicht chronologisch nachgezeichnet, sondern nach ausgewählten Kriterien, Inhalten und Modellen zusammengefügt, die nicht prima vista einleuchten. Dies birgt jedoch die Chance ein umfassenderes Bild der komplexen Wirklichkeit zu entwerfen, welches die RezipientInnen zwingt vorschnelle, vereinfachende Schlüsse zu überprüfen. Die Zersplitterung der Wahrnehmung und der Bruch einer erzählerischen Logik, wie sie in der digital gelagerten Bilder- und Soundwelt ihren Ausdruck findet, könnten vorschnell bloß als resignativer Ausdruck von traumatischem Leiden an gewohnten Bindungen und einer sich auflösenden Welt gedeutet werden, doch diese zersplitterte Welt birgt auch – virtuos orchestriert – aufblitzende Partikel von positiver Utopie, weit abseits der kitschigen Metaphern des zerbrochenen Spiegels.

Die beständigen Diskurse und die Reflexion der persönliche Erfahrungen in Leben und Kunst zu den Themen Sexualität und Politik, gender diversity und Migration sichern weder glückliches Zusammenleben noch künstlerischen Erfolg der Schagers. Familie wie Kunst werden nie anders als unvollkommen sein. Doch zum Leben von Helga und Herbert gehörte immer auch das Streben Naturgesetze außer Kraft zu setzen. Give peace a chance ist auch gegen jede Natur – warum dann nicht auch für culture, couple and children a chance.

Rainer Zendron, Kulturarbeiter