MARTIN REITER: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – 5 Individualisten spielen Familie

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – 5 Individualisten spielen Familie

/ oder doch ? Es ist ein Frage der Perspektive, die Motte hat das Gefühl, der Apfel falle weit und lang – der Mensch glaubt zu wissen, dass der Fall des Apfels nicht sehr weit sei – die Frage „wohin“ dieser Apfel fällt und aufschlägt, bleibt in den meisten Fällen unbeantwortet, obwohl dies doch sehr interessant wäre. Dieses Gedankenspiel wurschtelte sich durch meinen Kopf als ich die Ausstellung der Schagers ein zweites Mal besuchte. Die fünf KünstlerInnen haben den Blauen Salon im Kunsthaus Tacheles zu Berlin zuerst dekonstruiert und im Anschluss an diesen Akt neue Ecken und Räume entwickelt, um dieselben mit 5 – 6* verschiedenen Ausstellungen zu füllen. Allein die Dekonstruktion der bestehenden bzw. vorgefundenen Innnenarchitektur und der Aufbau der Arbeiten in neuem „Rahmen“ lag in klassischer Performance-Tradition. Von Tränen über Schweiss und Blut haben Valarie, Felix, Helga, Herbert und Ufuk Serbest sowie die üblichen Verdächtigen des Tacheles der Zeit und dem Raum diese Schau abgerungen. Da fällt nicht ein Apfel, sondern viele. Sie fallen auf „guten Grund“ oder „aus gutem Grund“.
Helga Schagers Exponate sind zum einen Bilder, die konkrete Information tragen und zum Anderen eine Installation, die Gender, Utopie, Bewegung/Movement und Signale thematisiert. Nicht platt und marktgefällig, sondern trotzig subversiv. Der Jäger und Sammler wird sich freuen, der retro Kunstboheme wird sich provoziert fühlen.
Herbert Schagers Bilder sind Farb-Foto und Geschwindigkeitsbilder – „die Wand fetzt“ – ein ganzer Film in einem Standbild. Wirklichkeitstextur und Infoschaum, Herbert Schager schafft es spielend Öl auf Leinwand zu umgehen und trotzdem, eine griffige haptisch erfahrbare Oberfläche zur Abstrahlung seiner Sicht der Dinge zu generieren. Er zeigt den BetrachterInnen einen Teil seines Lebens und stellt dies mutig zur Diskussion. Seine „Hängematten Installation“ zwingt die Zuseher zu Einsamkeit und Video, nur alleine können seine Filme via HMD** betrachtet werden – ob das Abhängen in einer Hängematte Kritik an gesellschaftlichen Unterhaltungsgewohnheiten ist oder nicht, bleibt dem Publikum überlassen.
Ufuk Serbests Installationen sind interaktiv, multimedial und verwirrend – die Besucher spielen mit Ihnen, suchen mehr als einmal Dinge, die Serbest nirgends zeigt oder anreißt, die aber durch verwendete Materialien und Programme unterstellt werden. So wendet sich das Blatt für die Betrachter und sie werden Elemente in Serbests Anordnungen und Aufbauten. Er hat in seinen Installationen den „bösen Blick“ als pupertären Schwachsinn abgeschafft und den schiefen/schrägen Blick als emanzipatorisch aufgeklärten Akt für die Kunst erschlossen.
Valarie Schager nimmt die Besucher in die Pflicht, jeder und jede kann – soll – muss sich „das Bild selber machen“. Bei zwei ihrer Arbeiten ist das Tafelbild unterteilt in viele kleine Einheiten. Verspielt drängen sich die gemalten Kleinode aneinander, sie können verschoben werden und ergeben so immer wieder neuen Inhalt. Ein Trickfilm zum Anfassen, der ohne Film,- Schnitt- und Projektionstechnik auskommt. Valarie und Felix Schager haben ihr „Sehen“ von den Eltern übernommen, wenn es Meme (also letztlich die Speicherung von Erinnerung/Information in einzelnen Zellen) geben würde, wären Valarie und Felix Schager der Beweis dafür. Die Bilder von Felix Schager arbeiten mit Textfragmenten und überwinden die Zeit von der echten Kinderzeichnung zum tatsächlichen künstlerischen Werk mittels dreier Arbeiten anschaulich, kompromisslos und vor allem schnell. So wie die Wand des Vaters fetzt, so rast die Videoinstallation von High Noon nach Scarface und zurück. Dass Felix als MC Def Ill gemeinsam mit Fireclath (Valarie und Ufuk) und der Popspionage von Herbert Schager noch den musikalischen Boden für den Ausklang der Vernissage bereitete, war ein eindeutiges Zeichen für Familie, fernab von konservativen Rückschritten und mafiösen anarchokapitalistischen Familienclanuntrieben. Auf Herbert Schagers Website findet sich die Wörtergruppe: „…. /wieviele sehen so wenig“….. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm oder „5 Individualisten spielen Familie“, im blauen Salon des Tacheles zeigt aber „……/ einige sehen doch was……“

Ich danke den Künstlerinnen und Künstlern im Namen Berlins und des Kunsthauses Tacheles für diese richtungsweisende Ausstellung.
Martin Reiter 24.08.2007 (Vorstandsmitglied Tacheles e.V.)

* Ich bin immer noch nicht sicher, wie viele Ausstellungen das in Tatsächlichkeit sind….
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